Fernweh
Es ist heute für uns Europäer kaum vorstellbar, wie es ist, in einem Land zu leben, das seine Bürger nicht gehen und kommen lässt, wie sie Lust haben. Die Sehnsucht der Menschen in der DDR, etwas von der Welt zu sehen, Rom, Paris oder gar New York zu besuchen, war größer als der Wunsch nach dem großen Geld oder schnellen Autos. Reisen waren nur in die Sowjetunion, nach Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Polen und die Tschechoslowakei möglich. Gebucht werden konnten sie über die staatlichen Reisebüros und von Jugendlichen unter 26 Jahren über das Jugendreisebüro, das sich „Jugendtourist“ nannte. Wer sehr viel Geld, Beziehungen und ein bisschen Glück hatte, konnte eine Schiffsreise nach Kuba ergattern.
Unter abenteuerlustigen jungen Leuten war es geradezu Kult, mit Schlaf- und Rucksäcken durch Osteuropa zu trampen, das Alltagsleben in diesen Ländern hautnah kennen zu lernen und „Völkerfreundschaft“ fernab jeder offiziellen Propaganda zu (er)leben.
Doch die restliche Welt blieb den Menschen in der DDR versperrt. Je mehr sich der Radius des Reisens in den 1980er Jahren verkleinerte, desto größer wurde die Sehnsucht nach der „großen, weiten Welt“. In Gedichten von Günter Kunert und Bildern von Wolfgang Mattheuer wurde Ikarus, der zur Sonne fliegen wollte, zum Symbol der Sehnsucht nach Freizügigkeit. Henry Pacholski und „Lift“ sangen in ihrer Rockballade „Nach Süden“ den jungen Leuten aus dem Herzen:
„Nach Süden, nach Süden wollte ich fliegen, das war mein allerschönster Traum.
Hinter den Hügeln wuchsen mir Flügel,
um vor dem Winter abzuhau‘n, abzuhau‘n.“
Für viele Menschen, die in den 1980er Jahren in die BRD ausreisten, war die Enge der DDR nicht mehr zu ertragen. Diejenigen, die blieben, erschlossen sich über Bücher, Filme und Bildbände die Welt im Kopf. In ihrer Phantasie waren sie Weltbürger, doch das Fernweh blieb.
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Kommentare aus der Ausstellung:
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