Westpaket
In Ingo Schulzes Roman „Neue Leben“ erinnert sich sein Briefe schreibender Erzähler in Altenburg, wie es in Dresden zuging, wenn das sehnsuchtsvoll er- wartete und heiß begehrte Westpaket zu Weihnachten eintraf:
„Pakete waren etwas, was grundsätzlich aus dem Westen kam. Der Inhalt wurde nicht gleich weggeräumt, sondern blieb zunächst auf dem Wohnzimmertisch liegen. Erst im neuen Jahr verschwanden Kaffee, Seife, Strumpfhosen in Schränken und Schubladen, doch nie verloren sie das Aroma ihrer Herkunft und bildeten eine eigene Kategorie von Dingen. Ihr Wert erschöpfte sich aber nicht in ihrem Gebrauch oder Verzehr.“ Kaffeebüchsen und Konservendosen wurden zu Reliquien.
Die Absender des Pakets, Tante Camilla und Onkel Peter, hatten – so Ingo Schulze – schon immer an uns gedacht, sie kannten unsere geheimsten Wünsche und wollten, dass es uns gut geht.
Als viele DDR-Bürger zum ersten Mal in den Westen fuhren – und froh über das Begrüßungsgeld – den ersten Aldi betraten, stutzten sie und nahmen einen wohlvertrauten Geruch wahr. Doch woher kannten sie ihn? Das war doch …
Genau so hatten die Sachen in den Westpaketen gerochen. Später wurde im Osten bekannt, dass die West-Verwandten Pakete, die sie in die DDR schickten, von der Steuer absetzen konnten. Tante Camilla und Onkel Peter verloren ihre mythische Größe und schrumpften zu Menschen wie du und ich.
Auf ewig dahin sind die Zeiten, da der Duft von Jacobs-Kaffee und Kölnisch Wasser, der Geschmack von Kaugummi und Haribos, der Geruch von Lux-Seife und Weiße-Riese-Waschpulver Glückshormone freisetzten.